Die malerische Distanz zu einem Gegenstand kann eine zeichenhafte Form hervorbringen, die eingebettet in den farbenen Kanon eines Bildes, als Zentrum der Gestaltung fungiert. In der handhabbaren Vielfalt eines Motivs – wie das eines Stuhles zum Beispiel - das eigenständige Werk zu entwickeln, verlangt Intensität im malerischen Vorgang und virtuose Konzentration im Umgang mit der vorgegebenen Dingwelt.
Die Loslösung von einer detailgetreuen Darstellung führt, wie in den Bildern von Claudia Betzin manifestiert, zu einer feinsinnigen Malerei, die sich eher aus dem Zusammenklang farbener Flächen herleitet als durch eine genaue  Wiedergabe der konturreichen Gegenstandswelt.

Das in den Bildern von Claudia Betzin die profane Funktion des sonst gegenständlichen Gebrauchs wie die eines Stuhles in die Aura eines Topos transformiert wird, liegt in der Reduktion seiner bildhaften Darstellung begründet. Das Abbildhafte, die wiedererkennbare Gegenständlichkeit wird vehement gemieden, so daß ein Spielraum bleibt, die noch wahrnehmbare Form als verschiedenartige Erscheinung in den Bildern wiederkehren zu lassen. Avanciert zum farbigen Akzent auf der Bildfläche erfährt die ignorierte Körperlichkeit des Gegenstandes Stuhl die Erhöhung zur geometrischen Form, die als ein Zeichen auf und in den farbenen Flächen fungiert.
In der Wahrnehmung der farbenen Bildkonstellation sind jedoch vieldeutige Zusammenhänge erkennbar, die frei assoziiert eine Symbolsprache ausfindig machen. Ebenso bieten die atmosphärisch anmutenden Farbklänge und erzählenden Strukturen die Möglichkeit sich in eine weitreichende Phantasiewelt zu begeben.

Zum Mittelpunkt der Bildhandlung erkoren, vollzieht sich mit der Wandlung der dinghaften Darstellung zum zeichenhaften Bildelement die Ausrichtung auf eine eher sinnbildhafte Bildsprache, um die inhaltliche Dimension des Bildgeschehens zu weiten.
Die Bilder von Claudia Betzin sind zum einen dem Impuls geschuldet, der Profanität des Gegenstandes eine bildästhetische Komponente entgegenzusetzen. Zum anderen werden Teile eines solchen Gegenstandes zum Bildträger erwählt, so daß eigenwillige Formatformen wie Bildkompositionen darauf entstehen können.

Diese Wechselwirkung macht den Reiz des Gesamtwerkes von Claudia Betzin aus. Durch künstlerisches Tun findet die reale Welt  - als Gegenstand  Stuhl - Eingang in die Malerei, und Teile von ihm werden selbst zum Bildträger, zum Bildformat.

Das Arrangement dieser eher organischen Formen gleichenden denn rechteckigen Formate beinhaltet Variabilität. Die Zuordnung der Bildteile zu einem jeweiligen Pendant, oder ihre Reihung wie auch blockartige Anordnung
in der Präsentation, vermag die dekorative Ausstrahlung mit der kontemplativ wirkenden Singularität zu vereinen.
Ideelle Anregung hervorrufend, vollzieht sich mit den Farbgestaltungen auf den hölzernen Stuhlteilen wie Rückenlehne und Sitzfläche in der Wahrnehmung mental der Übergang von der dinglichen äußeren zur inneren meditativen Welt.

So ist auch der Kunst von Claudia Betzin jene Wirkung eigen, die veranlaßt, sich mit einer neuen Sichtweise dem allgemeinen Sein zu nähern. Sich geistig anregen zu lassen und dem Seherlebnis neue visuelle wie sinnliche Erfahrungen hinzuzufügen. Nicht selten verbindet sich dieses in der Betrachtung der Werke mit dem Wunsch nach einem haptischen Erkunden – dem Berührenwollen ihrer Bildwelten.

Auslösend dafür ist sicher die reich nuancierte Farbgebung, die sich innerhalb des Bildganzen meist als großflächige Tonigkeit erweist.
Der Farbauftrag kennt unterschiedliche Stadien seines Befindens. Pastos gestisch gesetzt, als Lasur vorhandene Schichten ummantelnd oder
als richtungswechselnde Struktur formuliert sich darin die farbene Substanz mit einer differenzierten Ausstrahlung. Zwischen Hell und Dunkel tummeln sich unzählige Valeurs, die das Auge zum Entdecken zwingen.

Sparsam mit Kontrasten arbeitet Claudia Betzin auch dort, wo zum Beispiel ein terrakottaartiges Rot auf das strahlende Türkis trifft. Charakteristisch ist eine gleichwertige Farbintensität, mit der eine insgesamt ausgewogene, auch meditative Stimmigkeit  angestrebt wird. Die differenzierte Handhabung der Materialität, führt in den Bildern zu einem Wechselspiel aus Rhythmus und Klang der Farben. Gleich einem erkundenden Spiel macht sie deren variables Innenleben sichtbar – als ein lichtundurchlässiges Plateau, von mattem Glanz sich bettend, aufgerissen zur Linie.
Auf der Bildfläche öffnen sich imaginäre Räume, in denen wiederholt das Zeichen Stuhl agiert, ergänzt von figürlichen Attributen.

Jedes Bildformat ist erzählend und offenbart die gestalterische Kraft von Claudia Betzin, die unterschiedliche Konsistenz der Farben auszuloten. Schwungvolle Dynamik kennzeichnet ebenso wie verhaltenes Verweilen das malerische Vorgehen. Daraus erwächst das eigentliche Bildganze, das den Malakt selbst als Ausdruck eines ideellen Herangehens, einer Expression innerer Spannungen und der Intensität der Bildfindung sowie eine mit dem Farbauftrag verbundene Sinnenfreude wiedergibt. 

So sind die jeweiligen Kompositionen eher emotional determiniert als gedanklich formuliert. Dennoch führt der Prozess, das Austarieren des Möglichen zu einer verdichteten Bildsprache, die den jeweiligen Eigenwert von Substanz, Konsistenz, Licht, Bewegung und Kontrast der Farben respektiert.

Sich dabei unterschiedlicher Formate zu bedienen, setzt Claudia Betzin mit der Herausforderung gleich, diese auch formalästhetisch zu bewältigen. Das ist bezogen auf ein festgelegtes Sujet – im weitesten Sinn die stillebenhaften Stuhlfragmente – ein mutiges Unterfangen.
Auf den Bildflächen sind die Spuren eines zeitintensiven Prozederes, die Farbwelten gleichsam als ein gültiges Ganzes aus Nuancierungen ihres Kolorits und aus wechselvollen Kontrasten entstehen zu lassen, nachzuvollziehen.
Das dieses in einem – auch  im wörtlichen Sinn – vielschichtigem Resultat mündet, macht die Kunst von Claudia Betzin spannend und zu einem sehenswerten Ereignis.

Dr. Petra Lange

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