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Je abstrakter ihre Gemälde gehalten sind, desto mehr Gewicht erhält die Bearbeitung der Oberfläche. Diese baut sie nicht vollflächig, sondern in bestimmten Partien stärker als in anderen mit einer Strukturmasse aus Quarzsand und Bindemittel auf, um dann mit dem Pinsel, dem Schaber oder anderen Kratzwerkzeugen Spuren zu hinterlassen und eine reliefartige Mikrostruktur zu erzeugen. Claudia Betzins Farbpalette konzentriert sich - durch persönliche Vorlieben und Affinitäten geprägt – auf türkis, orange und rot. Wenn diese für Energie und Vitalität stehenden Farben auch die in ihrer Malerei am deutlichsten zu Tage tretenden sind, so tauchen in den dahinterliegenden Schichten doch fast immer auch schwarz und weiß auf.
„Farbwechsel“ ist als prozessuales Ausstellungsprojekt konzipiert, das die Gemeinde der evangelischen Andreaskirche
in Bergisch Gladbach-Schildgen durch das Kirchenjahr begleitet. Stets sollte die aktuelle liturgische Farbe im Altarraum
sowohl als Gemälde als auch mittels Kanzel- und Altarbehang sowie Stola und Casel zu sehen sein. Die im Kirchenjahr
folgende Farbe sollte anschließend wieder im Altarraum Platz finden, das vorhergehende Bild an die Südwand
wandern, so dass sich der Kirchenraum während des Jahres mit den Bildern sämtlicher Farben füllt und die
Gemeinde umgibt. Dieses Vorhaben ist die bildliche Umsetzung der Allgegenwart der gesamten Heilsgeschichte.
Die zehn Gemälde, die im Jahre 2005/2006 innerhalb von neun Monaten für das Projekt „Farbwechsel“ entstanden
sind, unterscheiden sich auf den ersten Blick gar nicht so sehr von Claudia Betzins früherer Kunst. Es handelt sich
um abstrakte – nicht monochrome – mit Quarzsand versetzte Acrylmalerei, die abschließend mit Firnis überzogen
ist. Auf diese Weise ist den Tafeln ein seidenglänzendes Finish verliehen, das den Arbeitsprozess endgültig
beendet.
Während es sich für den Betrachter um freie Malerei handelt, war die Herangehensweise für die Künstlerin
in diesem Zyklus anders als zuvor. Die Aufgabenstellung, Gemälde in den liturgischen Farben des Kirchenjahres anzufertigen,
stellte eine große und neuartige Herausforderung für sie dar, da sie sich der künstlerischen Tradition
von „Kirchenkunst“ bewusst war, und sich daraus ein hoher Anspruch insbesondere an die „Überzeitlichkeit“ ihrer
Bilder ableitete. Der Beginn, der erste Strich auf der Leinwand, war daher schwieriger als in vielen vorhergehenden, kontextfreien
Bildern. War dieser erste Schritt jedoch getan, so verselbständigte sich ein Prozess, den die Künstlerin nicht
rational geplant hatte. Hier liegt ein Unterschied zu der Vorgehensweise von Thomas Schmitt, der die liturgischen Gewänder,
Kanzel- und Altarbehänge für das Projekt „Farbwechsel“ angefertigt hat. Die Zusammenarbeit zwischen
ihm und der Malerin zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass sie dialogisch am Entstehungsprozess der Werke des anderen
teilgenommen haben. So hat Thomas Schmitt z.B. bestimmte Farben oder Linienführungen ihrer Malerei aufgegriffen und
sie in Form von zarten Fäden oder Stickereien in seine Paramente aufgenommen.
Seine Ideen hat er, unter Einbeziehung seines großen Wissens um Symbolik und Tradition, rational entwickelt und
skizziert, um dann die edlen Materialien in genauer Menge zu bestellen und abschließend den Entwurf zu realisieren.
Aufgrund der völlig andersartigen Herangehensweise entwickeln sich Claudia Betzins Werke erst während des Malprozesses.
Ihre wichtigsten künstlerischen Entscheidungen in diesem Zyklus, den sie auch als solchen zusammenhalten möchte,
betreffen vor allem das Format und die sich daraus ableitende Ein- oder Mehrteiligkeit. Entstanden sind drei große
Dyptichen in den Farben grün, weiß und violett für die am häufigsten verwandten Farben im liturgischen
Kalender, ein schmales schwarzes Dyptichon, sowie ein Hochformat in rot
und ein kleineres Format in der höchst selten im Kirchenjahr vorkommenden Farbe rosa. Diese Bilder sind nicht nacheinander
entstanden, sondern - prozessuales Arbeiten an mehreren Leinwänden gleichzeitig – als Zyklus ineinandergreifender
Abläufe und Malprozesse zu sehen. Dabei verbindet diese Werke eine spezielle Stimmung, da sich die Künstlerin
für dieses Projekt intensiv mit den biblischen Texten und den Gebräuchen im Kirchenjahr beschäftigt hat.
Den existentiellen und spirituellen Fragen nach dem Sein und dem, was Kirche ausmacht war sie aufgrund dieser Vorbereitungen
näher als sonst. Es war wie die Künstlerin selber sagt, „eine Entdeckungsreise“, denn sie ist “beim
Malen in einen Dialog mit der Farbe und den entstandenen Formen gegangen“.
Bei der Wahl der Formate orientiert sich Claudia Betzin sowohl an der Gewichtung der Farbe im christlichen Kirchenjahr
als auch an den architektonischen Gegebenheiten der Andreaskirche. Die zweiteiligen Kompositionen in den Farben grün,
weiß und violett müssen sowohl separiert, rechts und links der Altarnische, als auch eng beieinander in den
durch die Fenster rhythmisierten Wandabschnitten an der Südwand funktionieren. Anders verhält es sich mit dem
schmalen, hochformatigen, schwarzen Dyptichon, das entweder eng beieinander rechts der Altarnische oder an der südlichen
Wand als Einheit zu erleben ist.
Die mit archaischen Zeichen unterschiedlicher Art verwobene Malerei Claudia Betzins verweist nicht direkt auf eine
christliche Symbolik. Viele Linien, Spuren, Zeichen und Farbfelder greifen von einer auf die andere Leinwand über
und verbinden, bzw. verzahnen somit diese mehrteiligen Arbeiten, auch wenn sie durch die aus Naturstein gemauerte, zurückspringende
Wand des Altarraumes getrennt sind.
Am Beispiel des Bildes in der Farbe „violett“ – im kirchlichen Kontext Sinnbild für den Übergang
und die Verwandlung, die Vorbereitung auf die hohen Feste – soll Claudia Betzins Malerei einmal näher betrachtet
werden: Violett wird in der Adventszeit, in der Passionszeit vor Ostern und meistens bei Begräbnissen sowie am Buß-
und Bettag getragen. Da diese Farbe bislang nicht in der Palette der Künstlerin vorkam, war der Beginn der Arbeit
an diesem Bild besonders schwierig. Ausschlaggebend für die Komposition war ein Erlebnis in einer spirituellen Nacht
in der Andreaskirche, in der ein großer Gong geschlagen wurde. Dessen langer Nachklang brachte der Künstlerin
Bilder archaischer Handlungen, eines ins Wasser geworfenen Steines mit immer weiterführenden Wellen ins Bewusstsein.
Es handelt sich um ein Werk mit hohem Weiß- und Grauanteil, den sie bewusst als Gegengewicht zum Violett gewählt
hat. In der Mitte, die beiden Tafeln übergreifend, befindet sich eine große, nach rechts oben weisende violette
Form. In diesem Violett, das ansich schon eine äußerst komplexe Bedeutung sowohl im weltlichen als auch im
kirchlichen Kontext hat, sind sämtliche Farbnuancen von rot, rosa über blau und schwarz enthalten, als schwinge
das Wissen um die anderen Abschnitte des Kirchenjahres mit. Andere Assoziationen drängen sich im Kirchenraum auch
angesichts der aus der Ferne wie dunkle Schlitze auf hellem Grund wirkenden Diagonalen auf. Auch in der zweiteiligen großen
Form in der Mitte – auf der linken Tafel ein instabiles Nach-oben-Streben, rechts ein größeres Farbfeld,
das ausgewogen zwischen Aufstreben und Ruhen verharrt und der Komposition im Zusammenklang Spannung und Stabilität
verleiht - wird eine Bewegungssuggestion, der Übergang von einem Zustand in einen anderen, offenbar. So erhält
dieses Bild eine Komplexität und Dichte, die in Form und Farbe ihren Ausdruck findet. Zurecht ist der Künstlerin
dieses Bild ganz besonders ans Herz gewachsen, denn hier hat sie künstlerisches Neuland betreten, hat sich gerieben,
infrage gestellt und letztlich etwas überwunden und gefunden, das sie ohne diese Herausforderung gar nicht gesucht
hätte.
Vergleicht man das „weiße“ Bild mit dem violetten, so ist die Vielschichtigkeit und Introvertiertheit
der bildlichen Aussage noch offensichtlicher: Das weiße Dyptichon ist nicht weiß, sondern enthält neben
Anteilen dieser Farbe sehr viel beige, grau und gelb in unterschiedlichen Schattierungen. Im liturgischen Jahr gilt weiß als
Farbe des Lichtes und der Engel und findet bei den Hochfesten Verwendung. Es gilt als klar und rein, doch gerade in der
Beimischung wärmerer heller Farben bindet die Malerin auch andere Aspekte mit ein: Für sie verkörpert die
Farbe weiß ein positives Leer- und Offen-sein, das es zu füllen gilt. Ganz vieles ist somit noch möglich.
Betrachtet man die zweiteilige Komposition, so hat man auf den ersten Blick den Eindruck einer an der Mittelachse gespiegelten
Darstellung. Wie ein Halt gebender Rahmen bindet eine graue Linie die zwei Leinwände zusammen. Während alle übrigen
Linien eher leicht nach rechts unten weisen, ist dieser kräftige graue Rahmen als einziger parallel zum Keilrahmen
ausgerichtet, was die haltende und schützende Funktion nochmals untermauert. Ein großer, mit feinen Horizontallinien
versehener Block, der im liturgischen Kontext an die Gesetzestafeln oder Grabplatte erinnern mag, wird von einer das Bild
dominierenden gelben Horizontalen überschnitten. Diese verbindende Linie steht, so die Künstlerin, für
das Wachsen und Weiterwachsen. Die Arbeit an diesem stark getupft und mit viel Gestik bearbeiteten Bild, das aus der Distanz
sehr viel weicher wirkt als aus der Nähe, war für die Künstlerin eine sehr spannende Auseinandersetzung
mit der Farbe in ihrer Gesamtheit, der ihr eigenen Energie und Strahlungskraft sowie ihrer symbolischen Bedeutung im kirchlichen
und weltlichen Kontext.
Ein großer Unterschied zwischen der Arbeitsweise Thomas Schmitts und Claudia Betzins besteht darin, dass die Malerin
zwar um den symbolischen Gehalt und die Tradition der einzelnen Farben im liturgischen Kontext weiß, diese Symbole
jedoch nicht ins Bild überträgt, sondern atmosphärisch darauf reagiert. Ein großer Teil der Künstler,
deren Werke heute - und sei es zeitweilig – in einem Kirchenraum gezeigt werden, verzichtet auf allzu direkte Anspielungen
auf biblische Inhalte. Auch in Claudia Betzins Bildern gilt es nicht, christliche
Symbole aufzufinden und zu dechiffrieren. In der Betrachtung, im Prozess der Wahrnehmung, die immer auch ein Stück
Selbst-Wahrnehmung beinhaltet, besteht die Möglichkeit der Erfahrung eines eher meditativ gestimmten Umgangs mit
dem Bild, dem Raum und dem Sein. Es mischen sich die Assoziationen und Gedanken aus dem Bereich des alltäglichen,
weltlichen Lebens mit denen des Christentums, der Kirche und des sakralen Raumes.
Ohne den Kontext des Kirchenraumes sieht der Betrachter ungegenständliche Bilder von großer Dynamik und Intensität. Insbesondere in den sich überlagernden Farbschichten wird das Suchen nach einem bestimmten Ausdruck deutlich. Erst die Präsenz im Kirchenraum lenkt den Blick des um diese Sachverhalte Wissenden in eine bestimmte Richtung und verweist darauf, dass einzelnen Farben im liturgischen Zusammenhang bestimmte Bedeutungen zugeordnet sind. Während dieser Blick die Arbeitsgrundlage für Claudia Betzin darstellt, ist dies für den Betrachter an den Werken nicht eindeutig abzulesen. Bei einer Hängung der gleichen Werke außerhalb sakraler Räume steht der Betrachter Bildern gegenüber, die er ausschließlich aufgrund seiner eigenen Gefühle, Stimmungen, Seherlebnisse und den Lebenswelten, die er in sich trägt, erleben kann.
Claudia Betzin malt die Bilder dieses Zyklus nicht anders, nicht mit hinzugefügter Symbolik, sondern ist in der schwungvollen Dynamik des Pinselstrichs und dem pastosen Farbauftrag ihrer zuvor entstandenen Malerei treu geblieben. In ihren Bildern bestätigen sich die Möglichkeiten und Qualitäten der Abstraktion: Sie führt den Betrachter zu der Erkenntnis, dass man nur das sehen kann, was man bereits in sich trägt: Gefühl, Erfahrung, Glaube, Wissen.
Petra Oelschlägel